Superintendent erinnert bei Demonstration in Hemer an Bedeutung des Grundgesetztes
Die evangelische und katholische Kirche in Hemer hatten zu einer Kundgebung auf dem Hademareplatz unter dem Motto für Demokratie – gegen Rechtsextremismus eingeladen. Unter den vielen Teilnehmern war auch Superintendent Oliver Günther, der in seiner Ansprache zur Wahl für die Demokratie aufrief und an die historische Verantwortung in Deutschland erinnerte. Hier seine Ansprache im Wortlaut:
Liebe Demokratinnen und Demokraten!
Wo kommen wir her? Unsere demokratische Grundordnung ist vor 75 Jahren im Dreck entstanden, in Schutt und in Elend.
Die Deutschen, für die das Grundgesetz damals gemacht wurde, interessierten sich damals kaum dafür. Sie hatten anderes zu tun. Sie räumten die Trümmer weg, die der Nationalsozialismus in ihnen und um sie herum hinterlassen hatte. Sie hatten Hunger und Angst davor, nicht zu überleben.
Unserer Großeltern-Generation war die Demokratie suspekt. Sie galt als Import der Siegermächte. Die Voraussetzungen für eine neue, demokratische Staatsverfassung hätten miserabler nicht sein können.
Die Väter und Mütter unserer Demokratie haben sich an Martin Luther, an den Martin Luther zugeschriebenen Satz gehalten. Sie haben befürchtet, dass die Welt untergeht und trotzdem das Bäumchen gepflanzt. Es ist ein Baum, der Früchte trägt.
Die schönste Frucht an diesem Baum ist der Artikel 1:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Sie zu achten und sie zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Dieser Satz ist das Fundament unserer Republik, ist die Basis unseres Gemeinwesens. Er ist die Grundlage unseres demokratischen und rechtsstaatlichen Lebens.
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Der Weg Deutschlands zu diesem Satz führt durch Abgründe.
Am Wegrand stehen Gestapo, Volksgerichtshof, Bergen-Belsen, Dachau.
Am Wegrand stehen Zwangsarbeiter, Herrenmenschen und die Opfer des von Hitler provozierten Bombenkrieges.
Am Wegrand stehen die 1,2 Mio. Ermordeten von Auschwitz.
Am Wegrand lesen wir das letzte Wort des angeklagten SS-Oberscharführers Boger aus dem ersten Auschwitz-Prozess:
„Ich … ich habe nicht totgeschlagen, ich habe Befehle ausgeführt.“
Kein Befehl kann und darf stärker sein als die Würde des Menschen. Im Grundgesetz ist verfügt, dass nichts und niemand diesen Artikel ändern kann.
Wenn wir wollen, dass das so bleibt, müssen wir am 23. Februar Demokratie wählen.
Am 23. Februar ist der Tag, an dem es darauf ankommt, dass wir uns zu unserer demokratischen Grundordnung bekennen. Am 23. Februar geht es
für uns alle darum, Artikel 1 zu schützen. Am 23. Februar ist es unsere demokratische Pflicht, die Würde jedes einzelnen Menschen in Schutz zu nehmen.
Wo kommen wir her? Aus dem Elend.
Wo gehen wir hin – mit unserer Demokratie?
Wir wählen Freiheit und Menschenwürde.
Wir wählen Respekt und Nächstenliebe.
Wir wählen Demokratie.
Demokratie ist viel mehr als alle paar Jahre bei Wahlen abzustimmen. Demokratie ist „Zukunft. Miteinander. Gestalten!“
Wo kommen wir her? Der Weg zum Grundgesetz führte durch die Hölle der Konzentrationslager, am Wegrand liegen Millionen zermarterte Menschen.
Wir stehen heute auf dem heiligen Boden der Freiheit und der Menschenwürde. Aber dieser Weg hierhin erinnert uns an die Ausrottung der
Menschlichkeit; erinnert daran, wie aus Humanität Nationalität wurde und aus der Nationalität Bestialität wurde.
Die Verfassungsfeinde, die sich nun erneut zur Wahl stellen und der Angst der Menschen anbiedern, diese Verfassungsfeinde bezeichnen diese Bestialität als Vogelschiss in der Geschichte unseres Volkes. Die Verfassungsfeinde bezeichnen nicht den Holocaust, sondern das Denkmal dafür als Schande.
Auf Versammlungen dieser Partei wird vor Begeisterung gejohlt, wenn Nazi-Verbrechen verharmlost, Juden verhöhnt, Muslime verachtet, Türken als Kameltreiber beschimpft und Geflüchtete als Kriminelle diffamiert werden. Das ist würdelos und beschämend. Eine Schande für unsere Demokratie und für den Weg in die Freiheit.
Liebe Freundinnen und Freude der Demokratie, wir dürfen es nicht zulassen, dass Artikel 1 den Feinden der Demokratie in die Hände fällt. Die geopolitischen Entwicklungen in Europa und auf transatlantischer Ebene machen mehr als deutlich, dass es auf jede Stimme ankommt.
Die Würde des Menschen braucht Ihre Stimme.
Vielen Dank, dass Sie heute gekommen sind!




