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Seid Menschen!

Margot Friedländer war ein außergewöhnlicher Mensch. Warmherzig, empathisch, menschlich. Sie verstarb im Alter von 103 Jahren und hinterlässt uns ein Vermächtnis, das ich bewahren und leben möchte. Es war ihr sehnsüchtigster Wunsch: „Seid Menschen. Wir sind alle gleich. Es gibt kein christliches, kein muslimisches, kein jüdisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut.“ Und sie ergänzte: „Schaut nicht auf das, was euch trennt, sondern auf das, was euch verbindet.“

Sie hat erfahren und erlitten, wenn der Mensch seine eigene Menschlichkeit verliert und die seiner Mitmenschen nicht achtet. 

Margot Friedländer wurde 1921 in eine jüdische Familie geboren. Ihr Bruder und ihre Mutter kamen im Konzentrationslager Auschwitz ums Leben. Ihr selbst gelang es unterzutauchen, wurde dann aber doch gefasst und ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Damals war sie gerade 20 Jahre alt. Später erzählte sich davon, wie man ihr und anderen die Identität geraubt hatte. „Man ist ja kein Mensch. Wenn man eine Nummer ist, ist man eine Nummer.“ Es hat unfassbar lange gedauert, um wieder Mensch zu werden. „Ein Mensch, der eine Meinung hat. Der was zu sagen hat, der gefragt wird. Wir wurden nicht gefragt. Wir hatten keine Meinung.“ 

Margot Friedländer war eine der wohl bekanntesten Holocaust-Überlebenden. Bis zuletzt widmete sie ihr ganzes Leben der Aufklärung über die Verbrechen der Nationalsozialisten. Unermüdlich engagierte sie sich gegen das Vergessen und für die Verantwortung, die alle Generationen und alle Zeiten verbindet. 

Ihr Vermächtnis: „Seid Menschen!“ Ein mahnender Appell, ein Herzenswunsch voller Sehnsucht, ein mutiges Bekenntnis der Hoffnung, eine verpflichtende Erinnerung gegen das Vergessen, ein Gebet um Verantwortung, ein Protest gegen alles, was die Würde des Menschen beschädigt, ein Aufstand gegen jede Form von Extremismus und Gewalt. Seid Menschen! Nicht mehr, aber auch nichts weniger als das!  

Ich verneige mich in tiefem Respekt und großer Dankbarkeit vor Margot Friedländer und bete für den versöhnenden Shalom.

Oliver Günther, Superintendent

© epd-bild/Christian Ditsch

Superintendent Oliver Günther