Am 9. November fanden an verschiedenen Orten in ganz Deutschland Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus statt, so auch im Kirchenkreis Iserlohn. Angesichts der aktuellen Geschehnisse rief Superintendentin Martina Espelöer dazu auf, ein Zeichen der Solidarität zu setzen und an den Gedenkveranstaltungen teilzunehmen.
„Wir rufen dazu auf, an den Veranstaltungen des 9. November als Gedenktag der Judenprogrome 1938 in Deutschland teilzunehmen”, so die Superintendentin. „Wir setzen ein Zeichen der Solidarität und stellen uns an die Seite der jüdischen Mitbürger und Mitbürgerinnen. Wir sind entsetzt über alle Übergriffe und Diffamierungen und sagen Nein zu jeder Form von Hass und Gewalt.”
Wie alljährlich so auch in diesem Jahr trafen sich Iserlohner Bürger zu der Gedenkveranstaltung in Iserlohn um 18 Uhr an der Ecke Mendener Straße/ Karnacksweg, am Gedenkstein für die Synagoge.
Vor 85 Jahren auch in Iserlohn geschehen!
Die Synagoge stand auf den Tag genau bis vor 85 Jahren diesem Gedenkstein gegenüber in der Mendener Straße 5. Am 9. November nun hatten sich über 150 Teilnehmende zu dieser Gedenkveranstaltung eingefunden. Es war kalt, schneidend windig und passte zu dem Anlass, der allen Anwesenden noch heute unter die Haut geht. Treue jährliche Besucher, Bürger und doch in noch deutlich größerer Anzahl in diesem Jahr, waren die (evangelischen) Christen, Hauptamtliche, Ehrenamtliche, im Ruhestand befindliche dem Aufruf der Superintendentin gefolgt.
Im Jahr 2023 wird bundesweit eine zunehmende Zahl antisemitischer Übergriffe verzeichnet. Synagogen werden von der Polizei noch weitgreifender gesichert. Auch an diesem Abend war ein erkennbar umfassenderes Polizeikommando im Einsatz zur Sicherung der Veranstaltung. Gleich zu Beginn, während Detlev Paul vom Friedensplenum Iserlohn, als Moderator in das Thema einführte, kam es zur Störung durch einen Mann, der nah bei ihm stand und anderer Auffassung war. Die Polizei führte ihn sofort aus dem Bereich.
Erst sind es Worte, dann folgen Taten
Schon der Talmud mahnt: „Achte auf deine Gedanke, denn sie werden zu Worten, …. , … zu Gefühlen, …. zu Gewohnheiten, … zu Charakter, … zu Verhalten, …. zu Schicksal. Bürgermeister Michael Joithe appellierte an die Anwesenden: „Erst sind es Worte, und dann folgen Taten. Beziehen Sie Position, zeigen Sie klare Kante, machen Sie sich stark für Toleranz, Respekt und Mitgefühl. „Unfassbar“ sei es, dass sich bedingt auch durch den aufflammenden Nahost-Konflikt Antisemitismus wieder ausbreitet. „Frieden werden wir niemals durch weitere Kriege erlangen“, so Joithe.
„Tu deinen Mund auf für die Stummen“ (Spr. 31,8)
Pfarrer i. R. Burckhardt Hölscher begann: „Liebe Menschen!“ und erinnerte gleich zu Beginn an die beiden Verse im Psalm 74, die „der christliche Widerstandskämpfer und Märtyrer Dietrich Bonhoeffer in der Progromnacht in seiner Bibel unterstrichen hat“: „Sie verbrennen alle Häuser Gottes im Lande!“ und „Kein Prophet ist mehr da und keiner ist bei uns!“ Pfarrer Hölscher weiter: „Bonhoeffers Widerstand begann innerkirchlich! Als einer von ganz wenigen erhebt er seine Stimme für die Juden. Gleich nach der Machtergreifung der Nazis hielt er im April 1933 den Vortrag „Die Kirche und die Judenfrage“ vor der Berliner Pfarrerschaft, zum Ende hin vor fast leeren Bänken. – Die meisten Pfarrer hatten den Vortragssaal verlassen! 1934 schrieb er in London einem Freund aus der studentischen Jugendbewegung: „Tu deinen Mund auf für die Stummen“ (Spr. 31,8) – wer weiß denn heute noch, dass dies die mindeste Forderung der Bibel in solchen Zeiten ist.“
Zukunft ist jetzt!
„Tu deinen Mund auf für die Stummen“ wird sein biblisches Leitwort.“ Burckhardt Hölscher ergänzte: „Als 1935 die Nürnberger Rassegesetze erlassen wurden, die Kirche den Arierparagraphen übernahm, sagte er den Vikaren, die gerne liturgische Andachten hielten: „Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen!“ Pfarrer Hölscher führte aus: „Die Kirche soll der Ort des guten Gedächtnisses werden. Nur das Ansprechen der schrecklichen Wahrheit und Eingeständnis der Schuld nimmt dem Bösen die bindende, die spaltende Macht. Und es hilft uns, Leitfragen für unsere Zukunft zu finden, die durch die jüngsten Ereignisse mit einem Mal zu drängenden Gegenwartfragen geworden sind: Die Zukunft ist jetzt! Gedenken heißt: Erschrecken vor den Möglichkeiten, schuldig zu werden- damals wie heute- aus Gedankenlosigkeit, aus Egoismus, aus Angst.“
Die Teilnehmenden legten als Zeichen der Verbundenheit zu der jüdischen Tradition einen kleinen Stein oben auf den Gedenkstein und gingen schweigend zum Mahnmal am Poth. Dort umrahmte die Gruppe „PAXX“ den zweiten Teil der Veranstaltung musikalisch mit Friedensliedern. Jörg Simon, als Vertreter des Kinder- und Jugendamtes der Stadt Iserlohn, stellte die städtischen Bildungsangebote für Jugendliche vor, dies sind Aktivitäten rund um die „Stolpersteine“ in unserer Stadt aber auch Fahrten mit Vor- und Nachbereitung zu Konzentrationslagern. Damit die jungen Menschen lernen, wissen und nie vergessen.
Superintendentin Espelöer sprach für beide Iserlohner Konfessionen
Superintendentin Martina Espelöer trat an das Mikrofon stellvertretend für die evangelische und die katholische Kirche im Kirchenkreis und im Pastoralverbund Iserlohn. Sie betete gemeinsam mit den Anwesenden das Friedensgebet aus der Feder von Hans-Dieter Hüsch. Um den jüdischen Mitbürgern in der Gemeinschaft besonders verbunden zu sein lud sie ein, in hebräischer Sprache ein Lied zu singen, das dem Psalm 133 entstammt, das all jenen Menschen vertraut sei, die wie sie Theologie studiert haben. Die Musikgruppe „PAXX“ unterstütze die Singenden.
Die Stadt Iserlohn legte, vertreten durch den Bürgermeister Joithe und seiner Assistentin, einen vorwiegend gelb gebundenen Kranz an dem Mahnmal nieder, der zum Gedenken in der Nacht strahlte und leuchtete. Im gleichen Moment setzte der Regen ein. Welch starke Botschaften.