Im Gespräch mit Pfarrer i.R. Bernd Bartelheimer
Hemer. Nach 32 Jahren in Hemer wurde Pfarrer Bernd Bartelheimer im Januar in den Ruhestand verabschiedet. Im Interview mit Tim Haacke spricht er über Erinnerungen und Erkenntnisse, Schlussstriche und Zukunftspläne.
Wie fühlt sich der Ruhestand an?
Mein offizieller Arbeitsschluss war ja schon Ende Dezember. Den Termin konnte man nicht vor Weihnachten legen: Sich verabschieden und dann nochmal Weihnachtsgottesdienst halten, das geht nicht. Es ist ungewohnt, dass man mit allem nichts mehr zu tun und keine Verantwortung mehr hat. Das fällt erstmal schwer. Aber eigentlich habe ich mich schon seit Sommer nicht mehr an der Zukunftsplanung des Presbyteriums und der Gemeinde beteiligt und das ist hilfreich. Man muss sich ein Stück weit zwingen, aber das ist wichtig, sich da möglichst rauszuhalten. Jetzt konzentriere ich mich auf die Organisation des Umzugs. Es ist gar nicht so einfach, sich von einem großen Pfarrhaus auf eine Wohnung zu verkleinern.
Zumal sich in 32 Jahren sicher viel angesammelt hat?
Ja, und man hat nie die Zeit genutzt, auszumisten. Jetzt fällt es allerdings leichter, sich von den Dingen zu trennen. Ich merke das bei meinen theologischen Büchern. Bis zum Jahresende hatte ich immer das Gefühl, ich könnte die vielleicht noch einmal brauchen. Etliches Altpapier ist jetzt schon entsorgt, weil ich es jetzt nicht mehr brauche.
Sind Ihnen beim Ausmisten auch Stücke untergekommen, die Sie schon vergessen hatten, spannende Erinnerungen an die Vergangenheit?
Die analogen Dinge sind eine Sache. Es gibt aber auch die digitalen Dateien auf dem Computer. Da habe ich ein Schreiben eines ehrenamtlichen Mitarbeiters von 2009 gefunden mit einem Text von Hanns Dieter Hüsch und ein digitales Plakat für eine Veranstaltung aus dem Jahr. Da erinnert man sich dann. Das habe ich auch nicht gelöscht!
Was ist Ihnen aus Ihrer Zeit als Pfarrer besonders in Erinnerung geblieben?
Ich hatte hier an der Kreuzkirche zwei wunderbare Kirchenmusiker, davor in Westig auch schon. Das ist ein wunderbares Geschenk. Dann gab es hier von Anfang an einen sehr rührigen Kindergottesdienstkreis. Generell gab es immer eine sehr gute und konstruktive Zusammenarbeit mit den Ehrenamtlichen, das ist als Pfarrer ganz wichtig. Man ist nie alleine. Das bringt auch nichts, der Pfarrer als Superstar. Gerade bei den größeren Gottesdiensten sind immer mehrere Personen beteiligt. Und die Musik machten sowieso andere, das konnte ich gar nicht so.
Ein besonderes Ereignis war 2014, da haben wir 50 Jahre Kreuzkirche gefeiert. Das hat ein ehemaliger Presbyter mit seinem mittlerweile verstorbenen Zwillingsbruder maßgeblich organisiert. Da war die Kirche sehr voll, die Superintendentin war auch da und wir hatten sehr gute Musik.
Gibt es einen Aspekt, der Ihnen an der Arbeit als Pfarrer besonders wichtig war?
Kinder waren mir immer besonders wichtig. Die religiöse Sozialisation in den Familien fällt heute weitestgehend flach. Wenn wir da als Kirche erst irgendwann im Konfirmandenalter kommen, dann ist der Zug eigentlich schon abgefahren. Deshalb ist die Präsenz in den Kindergärten und Schulen unheimlich wichtig. 2000 habe ich zum ersten Mal kirchlichen Unterricht im dritten Schuljahr gemacht, das ist bis zum Schluss gut gelaufen. Und in den Kindergärten habe ich Gottesdienste für die Kinder gemacht. Auch in zwei städtischen Kindergärten, darauf war ich besonders stolz. Die waren nicht nur offen dafür, die haben mich bewusst angesprochen, einmal die Eltern und einmal die Leitung.
Aber es ist natürlich auch sehr wichtig, dass man den Kontakt zu den treuen Mitgliedern hält und sich zum Beispiel bei den Senioren oder der Frauenhilfe ist blicken lässt, das ist ja auch etwas Angenehmes.
Sie sprechen sehr positiv von Ihrer Zeit als Pfarrer in Hemer. Gab es auch Dinge, die aus Ihrer Sicht nicht so gut gelaufen sind?
Hier an der Kreuzkirche sind wir keine eigene Gemeinde, sondern Teil einer größeren Gemeinde. Da stellt sich die Frage, wie gestaltet man gemeinsam Zukunft? Und das fängt nicht erst heute oder gestern an, das begann im ersten Jahrzehnt der 2000er Jahre. Da hätte ich mir manchmal etwas andere Akzente gewünscht.
Aber das ist dann eben so: Es läuft nicht alles so, wie man selber es möchte und das hat ja auch sein Gutes. Wer weiß, wie es sonst gekommen wäre? Wir haben vieles funktional aufgeteilt. Ich habe mich ziemlich auf die Kreuzkirche konzentriert und vieles hat sich eigenständig und nebeneinander her entwickelt. Das war typisch für Hemer, jeder hat sein eigenes Ding gemacht und das hat auch durchaus etwas Friedensstiftendes. Gemeinde als Potpourri. Aber manchmal hätte ich mir eben mehr Gemeinsames gewünscht.
Für Ihre Verabschiedung haben Sie ein Zitat von Gerd Theißen gewählt: „Christlicher Glaube ist Mut zum Leben und zum Sterben, der mit Christus gekreuzigt wird und mit ihm aufersteht.“ Was bedeuten diese Worte für Sie?
Es steckt ja zum einen das Wort Mut drin. Mut brauche ich als Mensch, Mut brauchen wir als Kirche. Mut zum Leben, aber auch Mut zur Begrenztheit. Mit uns wachsen die Bäume nicht in den Himmel, es hat auch mal sein Ende, das muss man ganz realistisch sehen. Und zum Thema gekreuzigt sein: Manches erlebt man als Kreuz im leben, das einem auferlegt wird und man denkt, alles müsste ganz anders sein. Ist es aber nicht. Und gerade aus den Dingen, die uns das Leben schwer machen, wächst manchmal ganz ganz Neues, auch in der Kirche. Wir können nicht immer unsere Erfolge aufs Podest stellen und sagen: Deswegen sind wir so toll. Es ist eben ein Anderer, der am Ende den Neuanfang für uns möglich macht.
Und der Heidelberger Theologe Gerd Theißen ist mir am Ende meines Studiums begegnet, viele seiner Gedanken haben mich seitdem begleitet. Viele Bücher habe ich ja entsorgt, aber dort hinten steht meine Theißen-Sammlung, die kommt auch mit in die neue Heimat.
Wenn Sie noch einmal an den Anfang zurückdenken, gibt es da etwas, das Ihnen erst im Nachhinein klar geworden ist oder das ganz anders war, als Sie es erwartet hätten?
Wenn man anfängt, kann man nie überblicken, wo man am Ende rauskommt. Es hat so viele Veränderungen gegeben in dieser Zeit, die ich mir damals gar nicht hätte vorstellen können. Man kommt als Pfarrer an eine Kirche und denkt: Das bleibt jetzt immer so. Aber das tut es gar nicht.
Am Anfang hat man so seine Vorstellungen, wie Kirche sein soll. Mit jemandem wie mir und meinen Jahrgängen, da fing die Kirche endlich mal an, wirklich Kirche zu sein. (lacht) Mit der Zeit wird man viel nüchterner und realistischer. Und es ist gut, dass sich nicht alle Träume von Kirche erfüllen. Mit der Zeit sieht man Dinge, die genauso wichtig sind, die man am Anfang gar nicht gesehen hat. Viele denken, als Pfarrer da weiß man, wie Glauben richtig geht, auch wenn man es selber nicht immer schafft. Dass Menschen auch ihren eigenen Glauben, ihr eigenes Gottvertrauen mitbringen. Dass ich sie nicht belehren muss, sondern dass da etwas ist, eine natürliche Verbindung. Das ist etwas, dass ich mit der Zeit gelernt habe.
Nachdem Sie nun im Ruhestand sind, was wünschen Sie der Kirche für die Zukunft?
Was ich mir wünschen würde, ist dass die Kirche möglichst nah bei den Menschen bleibt und dass nicht alles nur funktional ist und aus Events und dergleichen besteht. Ich glaube Volkskirche hat immer noch eine Chance, aber es ist ganz anders als vor 20 Jahren. Dass man zum Beispiel an den Schulen willkommen ist und da etwas machen kann, das ist ja nun nicht selbstverständlich. Das gibt es in anderen Ländern gar nicht. Den Abbruch der religiösen Sozialisation habe ich ja schon erwähnt. Dass die Kirche auch in Zukunft bei en Kindern präsent ist, auch als Kirchengemeinde, das würde ich mir wünschen. Aber es gibt weitaus weniger Personal in Zukunft, und da bin ich nun nicht der, der den Leuten sagt, was geht und was nicht.
Sie ziehen für sich also einen klaren Schlussstrich?
Einen Schlussstrich muss man ziehen als aktiver Pfarrer. Und die neue Rolle muss man erstmal finden. Ich weiß, dass sehr aktive Ruheständler auch ein potentieller Unruheherd sein können und das möchte ich nicht sein. Ich habe jetzt keine Verantwortung mehr. Die haben andere und denen möchte ich auch nicht ins Handwerk pfuschen. Dass ich irgendwann, da wo man jemanden brauchen kann und da wo ich das möchte, vielleicht ab und zu Gottesdienste halte, das kann ich mir durchaus vorstellen. Aber erstmal braucht es auch eine gewisse Pause.
Sie ziehen um, nach Großrohrheim in Südhessen. Wie sehen dort Ihre Pläne aus?
Ich habe erstmal gar nicht so viele Pläne, weil ich mich in ein für mich noch recht unbekanntes Land aufmache. Großrohrheim kannte ich bis Anfang Dezember selbst auch noch gar nicht, bis uns eine Anzeige ins Auge stach. Das ist eine sehr interessante Gegend, einige Großstädte sind in der Nähe. Mannheim und auch Heidelberg, wo ich studiert und meine Frau kennen gelernt habe. Ich habe auch schon einen Gottesdienst besucht mit meiner Frau, von dem waren wir sehr angetan. Ich habe mich dem Pfarrer dort auch schon zu erkennen gegeben, aber ich halte mich erst einmal zurück. Ich möchte auf jeden Fall in einem Chor singen, das habe ich hier auch immer gemacht, ansonsten wollen wir uns erst einmal einleben.
Zum Abschluss: Was wünschen Sie sich privat für die Zukunft?
Ich weiß gar nicht, ob ich so viele Wünsche habe. Ich sage mal, worauf ich mich freue: Dass ich eine für das Alter passende Wohnung gefunden habe, so ein Haus wird jedes Jahr größer. Dass ich da auch meinen eigenen Bereich habe und arbeiten kann. Ich bin jemand, der gerne auch im Alter gerne theologisch arbeiten möchte. Dass ich meine drei Enkelkinder öfter und einfacher sehen kann. Wir sind bewusst an einen Ort zwischen den Kindern gezogen, von wo aus wir sie auch mal per Tagesreise ohne Übernachtung besuchen können.
Und eben auf die neue Gegend. Ich bin kein Mensch, der unbedingt immer in die Ferne schweifen muss, in der Nähe gibt es eigentlich so vieles. Südhessen, das nördliche Baden-Württemberg, Rheinlandpfalz und überhaupt den Rhein als eine Ader, die durch Deutschland fließt. Einfach interessante Dinge entdecken. Es ist schön flach und nicht so bergig wie hier (lacht), man kann da auch gut Radfahren.
